Zentrales Interesse der gesamten Forschungsstelle ist, die mannigfachen und verschlungenen Traditionslinien des europäischen Dramas möglichst in all ihrer Vielfalt, Diversität und Komplexität in Blick zu bekommen. Das Gros der in der Frühen Neuzeit gedruckten Dramen ist nach wie vor von der Forschung noch zu entdecken, erst recht unbekannt sind all jene Stücke, die nur in Handschriften überliefert sind. Als entsprechend vorläufig sind die in Forschung und Lehre auf der Basis eines schmalen Kanons etablierten Deutungsmuster einzuschätzen.

Je nach Fach sehen die Materiallage sowie die Rezeptions- und Forschungstradition der Dramen allerdings sehr verschieden aus. Unsere Forschungsgruppe ist daher bestrebt, die fachspezifischen Deutungskonventionen und die sie regierenden ästhetischen Normen einer vergleichenden Betrachtung zu unterziehen. Sie eint die Überzeugung, dass aus einer strikt disziplinimmanenten Perspektive die multikausale Genese vieler dramatischer Formen, Stoffe und Konzeptionen nicht zureichend nachgezeichnet werden kann. Dies gilt nicht zuletzt für die Beschäftigung mit der Komödie in Deutschland im 16. und 17. Jahrhundert.

Der Eigenart, Originalität und Innovationskraft vieler dramatischer Schöpfungen wird man nicht gerecht werden, indem man immer wieder auf die Wirkung der commedia dell‘ arte, Shakespeares sowie der großen spanischen und französischen Dramatiker verweist und deren Produktionen zum ästhetischen Ideal erklärt. Ebenso wenig tauglich erscheinen uns Ansätze, mit der Antike entlehnten und in der Klassik etablierten aristotelischen Wertmaßstäben, also nach epochenfremden Kriterien, die dramatischen Produktionen der Frühen Neuzeit zu bewerten. Viele Autoren insbesondere lateinischer und deutschsprachiger Dramen der Frühen Neuzeit betrachteten die Gattungsnormen der Antike keineswegs als mustergültig und verfuhren entsprechend frei und schwankend bei der Deklaration ihrer Stücke.

Von großen Interesse ist daher die Frage, wann sich wo dramatische Mischformen (wie z.B. Rojas „Tragicomedia de Calixto y Melibea“ , Hieronymus Zieglers, »Protoplastus«, drama comicotragicum oder Johann Rists Irenaromachia, das ist eine Newe Tragico-comœdia von Fried und Krieg (1630) oder vermeintliche Sonderformen (Bibeldrama, Freudenspiel) ausgebildet haben, welche Wirkungstraditionen sie begründeten und nach welchen epochenadäquaten Maßstäben sie in ihrem jeweiligen historischen Kontext zu bewerten sind. Zu untersuchen wären auch z.B. die kreuz und quer durch Europa sich ziehenden Laufbahnen bestimmter Figurentypen und ihre je unterschiedlichen regionalen Besonderheiten, etwa die Karriere einer Figur wie Pulcinella oder Matamore. Hierher gehören auch Untersuchungen von proteushaften Figurentypen, die in verschiedenen Dramenformen auftauchen, z.B. von Narrenfiguren und Fragen nach der Vermischung von weltlichen und sakralen Formen, Stoffen und Motiven. Aber auch Studien zur Persistenz oder Wandlung von rhetorischen Mustern, Topoi, Gattungsnormen, Handlungslogiken oder Figurenkonstellationen bedürfen einer gesamteuropäischen Betrachtung. Überdies gibt es in der Erforschung der Traditionslinien zum humanistischen Theater, zum Jesuitendrama oder zum satyrischen reformatorischen Drama (Rebhuhn, Naogeorg) noch viele blinde Flecken und es fehlen vergleichende Untersuchungen aus europäischer Perspektive zu den Konsequenzen unterschiedlicher Theaterpraxen etwa im Schul- und Hoftheater sowie Studien zu den Zirkulationswegen von Dramen, den Übersetzungspraktiken, Drucken und Nachdrucken.

Das Projekt zur deutschen Komödie hat 3 Schwerpunkte, die gegenstandspezifisch je unterschiedlich die Leitfragen des Gesamtprojektes verfolgen:

  1. 1. Harsdörffers Freudenspiele
  2. 2. Kaspar Stieler
  3. 3. Christian Weise
  4. 4. Nicodemus Frischlin

Teilprojekt: Harsdörffers „Freudenspiele“ (Claus Zittel)

Harsdörffer hat mehrere heute weitgehend unbekannte „Freudenspiele“ verfasst und sich zudem an einer Gattungsbestimmung des „Freudenspiels“ versucht. Diese Überlegungen sowie seine Reflexionen zur Komödie sollen in diesem Projekt systematisch herausgearbeitet und mit anderen zeitgenössischen Ansätzen konfrontiert werden. Freudenspiele haben auch andere Autoren verfasst, die sich jedoch sehr von Harsdörffers poetischen Produktionen unterscheiden. Eine zentrale Fragestellung ist somit, wie die verschiedenen Arten der Komödie gattungstheoretisch differenziert bestimmt und in funktionsanalytischer Interpretation der Stücke beschrieben werden können. Harsdörffers Freudenspiele speisen sich aus französischen, spanischen und englischen Quellen, sind Teil-Übersetzungen und Adaptionen, zugleich aber auch Neu-Schöpfungen, die in ihrer Eigenständigkeit und Originalität im Vergleich mit den europäischen Vorbildern gewürdigt werden müssen. Eine weitere Besonderheit von Harsdörffers theoretischer wie praktischer Arbeit am Drama ist sein enger Bezug zur Emblematik und Bildenden Kunst, in Japeta etwa in Gestalt des Frontispizes, aber auch zur Musik. So ist ein Freudenspiel Harsdörffers als Libretto für eine Oper entstanden. Harsdörffers Stücke sind intermedial und intertextuell auf komplexe Weise organisiert. Kaum beachtet wurde bislang die weit über die bloß allegorische Darstellung politischer Verhältnisse hinausgehende rhetorisch-argumentative und intertextuelle Organisationsstruktur der Stücke, die selbstreflexive Figurenkomik, die sich durch den extensiven Einsatz von Sprachspielen ergibt – wie überhaupt das Verhältnis von Sprachspiel, Witz und Verstand.

Im Rahmen dieses Teilprojektes soll u.a. eine zweisprachige und kommentierte Edition von Richelieus „Europe“ und Harsdörffers „Japeta“ erarbeitet werden (Die bisherige französische Edition bringt Harsdörffers Stück nur in französischer Übersetzung). Dazu flankierend sollen Harsdörffers weitere Freudenspiele in einer online-Dokumentation versammelt werden.

Das engere Textkorpus: Harsdörffers Freudenspiele

Das geistlich Waldgedicht oder Freudenspiel, genant Seelewig. Musik: Sigmund Theophil Staden. UA Nürnberg 1644. Ein weiteres Freudenspiel veröffentlicht Harsdörffer als „Zugabe“ (S. 351 ff.) zum 3. Teil seiner Frauenzimmer Gesprächspiele: „Zugabe. Melisa, Oder Der Gleichnis Freudenspiel, verfasset durch den Spielenden“, in welchem Melisa, die ‚Wohlredenheit‘ von Personifikationen der europäischen Sprachen umworben wird. Vorlage ist vor allem Lope de Vegas Escolastica Zelosa und Guez de Balzacs Comoedie des Comoedie . Im 5. Teil unter dem Titel Die Redkunst. Ein Freudenspiel (V., S. 316-458 [CCXVI-CCXIX], wird Lope des Vegas La fuerza lastimosa bearbeitet und ein weiteres Stück mit Titel „Die Vernunftkunst“ wird ebenfalls als „Freudenspiel“ deklariert (V, S. 85-280.) - dieses ist eine freie Übersetzung von Joseph Halls (1574-1656) „englischem Freudenspiel“ Der Sophist (Sophista sive logica et pseudologica).

Eigene Vorarbeiten:

  • Georg Philipp Harsdörffers Japeta, Édition, traduction et notes, hrsg. v. Sylvie Taussig und Claus Zittel. Französisch-deutsche kommentierte Parallel-Edition, Brepols 2009.
  • Harsdörffers ‘Kunstverständige Discurse’. Beiträge zu Kunst, Literatur und Philosophie der Frühen Neuzeit. Hg. mit M. Thimann, Manutius: Heidelberg 2010.
  • Claus Zittel: »die so gefährliche Wahrheit verübter Geschichte«. Übersetzungskunst und Rätselspiel bei Harsdörffer, in: Thimann/Zittel (Hg), Harsdörffers ‘Kunstverständige Discurse’. Beiträge zu Kunst, Literatur und Philosophie der Frühen Neuzeit, Heidelberg 2010, S. 295–324.
  • Claus Zittel: Zeichenkunst und Wissenschaft: Stefano Della Bellas Frontispize für Galilei, in: Andrea Albrecht, Giovanna Cordibella, Volker Remmert (Hg.): Tintenfass und Teleskop. Galileo Galilei im Schnittpunkt wissenschaftlicher, literarischer und visueller Kulturen im europäischen 17. Jahrhundert, Berlin: De Gruyter 2014, S.369–404.

Kooperationen: Hole Rössler HAB Wolfenbüttel

  • Institut für Bibelwissenschaft KUL (Linz: Projekt: Salomo-Dramen
  • Maria Valle del Ojeda (Ca‘ Foscari, Venezia: Projekt: Zirkulationen spanischer Dramen in der FNZ), Cristina Fozzaluzza (Ca‘ Foscari): Commedia dell‘ arte in Europa

Teilprojekt: König, Weiser, Liebhaber und Skeptiker – Rezeptionen Salomos (P–29909) (Imelda Rohrbacher)

Das Projekt König, Weiser, Liebhaber und Skeptiker – Rezeptionen Salomos (P–29909) ist ein interdisziplinäres Forschungsprojekt des Instituts für Bibelwissenschaft der Katholischen Privatuniversität Linz und untersucht die Motiv- und Stoffgeschichte zur Figur des biblischen Herrschers in Musik und deutschsprachiger Literatur ab der Frühen Neuzeit. Das Projekt wurde 2013 begonnen und ist seit Januar 2017 in der zweiten Laufzeit. In der ersten Projektphase wurden vor allem barocke Werk- und Textzeugnisse und jene der Klassischen Moderne und Moderne des 20. Jahrhunderts gesammelt, in einer projektinternen Datenbank dokumentiert und die Ergebnisse publiziert, in der laufenden Projektphase werden die Daten zur Epoche der Aufklärung, Klassik und Romantik und, in Teilen, jene zur Frühen Neuzeit des 16. Jahrhunderts (z.B. Volksbücher um den Salomo und Markolf -Komplex) erhoben.

Im Zentrum stehen Werke, in denen Salomo als Haupt- oder handelnde Figur erscheint, wie in Klopstocks Salomo-Drama von 1764; untersucht wird aber auch, in welcher Weise auf andere Elemente und Motive des Stoffs in Literatur und Musik der jeweiligen Epoche Bezug genommen wird, etwa mit jenem auf die Salomo zugeschriebenen Bücher wie Kohelet (Prediger Salomo), das Buch der Sprüche und das Hohelied. Auch Dingmotive wie der den Legenden entstammende Ring des Salomo, sein legendärer Thron oder der Schatz an Gold und kostbaren Gütern, die ihm schon biblisch zugeschrieben sind, prägen die Rezeptionsgeschichte und rufen immer wieder die schillernde Figur des Herrschers auf, der in der biblischen Geschichte vor allem für den Bau des Jerusalemer Tempels steht.

Salomo, der als Jüngling seinem Vater David auf den Thron folgt und dafür von Gott Weisheit, Stärke und Reichtum verliehen bekommt, ist mithin jener König, der die Verbundenheit der Menschen mit Gott in einem Bauwerk materialisiert – der Tempel als religiöse, auch als soziale Metapher für das gute Zusammenleben und die Errichtung einer gerechten Gesellschaft wurde bis ins 20. Jahrhundert immer wieder aufgenommen, die Frage des Tempelbaus hat sogar die Architekturgeschichte beschäftigt.

Bekehrung, Macht und Liebe sind zentrale Themen des Salomo-Stoffs und machen ihn zu einer in den verschiedensten Zusammenhängen beschriebenen Figur. Biblische Figuren sind wegen ihrer langen Rezeptionsgeschichte dankbare Objekte der Figurenforschung, Salomo sticht aber wegen der schon biblisch angelegten Mehrfachnennung und der widersprüchlichen Zuschreibungen (besondere Weisheit, besondere Verfehlung) heraus, was für eine lebhafte Rezeptionsgeschichte sorgt. Salomo ist eine schillernde und in allen europäischen Literaturen rezipierte Figur, eine wesentliche, aber noch zu wenig untersuchte Komponente ist seine im wahrsten Sinn des Wortes interkulturelle Zusammensetzung. Salomo ist in der jüdischen, islamischen und christlichen Tradition gleich beliebt und mit Geschichten bedacht, seit jeher ist er eine Figur zwischen Ost und West und damit zwischen Morgen- und Abendland.

Aus dieser Vielfalt der Überlieferung und aus den Konstellationen, die sich aus dem skizzierten Themendreieck ergeben, hat gerade die Frühe Neuzeit inhaltsschwere, phantasiereiche und die verschiedenen Aspekte zusammendenkende Bearbeitungen hervorgebracht.

Die Frage des gerechten Herrschens und die der Klugheit eines Fürsten auf ererbtem Thron hat naturgemäß die Epochen bis zum Ende des Absolutismus beschäftigt, die Spannung zwischen Politik und Religion als Spannung zwischen Herrscherrolle und privater Neigung scheint aber dabei im Spätbarock zum Schibboleth einer neuen Sicht geworden zu sein und geeignet, die Schwelle der Zeiten besonders zu bezeichnen, weswegen Christian Weises Textzeugnissen in unserem Projekt besondere Aufmerksamkeit gilt. Angelpunkt und Hauptinhalt der Weiseschen Comoedie vom König Salomo sind handfeste und realitätsnah dargelegte Hofintrigen, an deren Ende der König auch politisch in den Fängen der verschiedenen Parteien zappelt, die als Vertreter und Lobbyisten die vielen Gattinnen begleiten, die er von Handelsreisen und Feldzügen nach Hause bringt . Weises ‚Variation auf Salomo‘ besteht in der minutiös überlegten und gnadenlos auf den Boden der höfischen Tatsachen gebrachten Frage, was denn das bedeute, ein Mann und so viele Fürstinnen unterschiedlichen Glaubens.

Christian Weises Salomo wurde 1685 am Gymnasium in Zittau, dessen Rektor er war, uraufgeführt, und liegt in zwei Handschriften im Altbestand der Bibliothek Zittau vor. Für die erste Edition im Druck wurden im Linzer Salomo-Projekt die beiden Handschriften transkribiert und mit einem kommentierenden Apparat herausgegeben.

Dieser Textausgabe sollen weitere Editionen folgen, so die von Weises Bearbeitung der biblischen Berichte über Absalom, ein weiterer Sohn Davids und Halbbruder Salomos. Absaloms Geschichte des Aufstands gegen seinen Vater, der eine Vergewaltigung unter Halbgeschwistern zugrunde liegt, wurde immer wieder aufgenommen, was auf die Komplexität der biblischen Darstellung zurückgeführt wird. Das Spiel vom Ungehorsamen und gestrafften Absalom, der den Aufstand mit dem Tod bezahlt, erfolgte 1686 in der jährlich stattfindenden Aufführungsreihe des Zittauer Schultheaters. Auch dieses Stück wurde bislang nicht modern ediert, was mithin das erste Vorhaben der Kooperation im Dramennetzwerk des SRC darstellt. Es kann als gegeben angenommen werden, dass Weise die Umsetzung der Geschichte Absaloms nicht nur als ‚Ergänzung‘ seiner Bibeldramen interessierte, die er schon im Sinn der Textus historicos konzipierte, so wie er die historische Hungerrevolte, die 1647 in Neapel unter dem zum Anführer gewordenen Fischhändler Masaniello stattfand, als Trauerspiel auf die Bühne brachte.

Am Titelblatt der Handschrift wird Absalom als „Comoedia“ wie „Tragoedia“ bezeichnet, zu erschließen ist, wie sich der Text zu diesen Bezeichnungen verhält. Ähnlich sind Auswirkungen des beginnenden Pietismus und dessen Konzeption fiktiver Werke vor dem Hintergrund der Diskussion des Darstellungswürdigen und der zulässigen Adiaphora im Theater näher zu beschreiben, die Christian Weises Produktion mitbestimmt haben. Allen diesen Fragen widmet sich das Projekt …. .

Teilprojekt: „Jetzund wollen wir eine Komödie spielen“– Konstruktion, Form und Funktion des Komischen bei Caspar Stieler (Christiane Schneider)

Aufbereitung/Vorbereitung der zu untersuchenden Primärtexte (Edition (?))
Geplante Dauer: 3 Jahre
Perspektiven:
Kanonerweiterung (Dramen/Komödien des 17. Jahrhunderts)
Neubewertung der deutschsprachigen Komödie des 17. Jahrhunderts
Einflüsse der europäischen Literatur und des europäischen Theaters auf deutschsprachige Dramen

Teilprojekt: Nicodemus Frischlin: Deutsche Dichtungen (Edition) (Claus Zittel, Fabian Mauch)

Beschreibung folgt