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Nietzsches Versuch einer Selbstkritik gipfelt in der oft zitierten Einsicht: „Sie hätte singen sollen, diese ‚neue Seele‘ – und nicht reden!“ In Stefan Georges großem Nietzsche-Gedicht bildet sie den resümierenden Schlussvers. In jüngerer Zeit wird indes deutlich, dass Nietzsches Selbstkritik vor allem deshalb auf das Frühwerk bezogen ist, weil er seine reife Philosophie durchaus als ‚Singen‘ und – bei aller Ironie – Dichtung im emphatischen Sinn auffasste. In Einzelgedichten hat Nietzsche sich schon früh zugleich lyrisch wie philosophisch artikuliert. Sein lyrisches Werk nimmt dann in auffälliger Parallele zur Entfaltung philosophischer Positionen Gestalt an und rückt spätestens seit Also sprach Zarathustra ins Zentrum eines Schreibens, das in der Nichtunterscheidbarkeit von Gedicht und Gedanke der Dionysos-Dithyramben kulminiert. Nietzsche ist also weder bloßer Nachahmer lyrischer Vorbilder gewesen, der gelegentlich und gleichsam zur eigenen Entlastung und Unterhaltung selber Verse schmiedete, noch auf seine zweifellos wichtige Rolle für die lyrische Avantgarde zu reduzieren. Für Nietzsche war die Lyrik vielmehr am Ende – bis in die Rhythmisierung seiner Prosa hinein – der radikalste Ausdruck jener „eigne[n] Sprache“, deren Mangel er im Versuch einer Selbstkritik beklagt hatte.
Die Jahrestagung der Nietzsche-Gesellschaft 2015 erhebt den Anspruch, erstmalig einen so umfassenden wie in die Tiefe gehenden Überblick von Nietzsches lyrischem Schaffen zu leisten. Im Mittelpunkt werden Beiträge stehen, die einzelne Gedichte oder lyrische, textgenetische und kontextuelle Zusammenhänge durch genaue Lektüren erschließen. Die Annahme, dass es sich bei Nietzsches Gedichten um spezifische Denkweisen handelt, mag dabei genauso fruchtbar sein wie die Prämisse eines unüberbrückbaren agonalen Gegensatzes von lyrischer und philosophischer Rede. Am Beispiel Nietzsches setzt sich die Tagung dergestalt das Ziel, dem Dichterischen der Philosophie und dem Denkerischen der Dichtung auf die Spur zu kommen.
Neben diesem zentralen Anliegen untersuchen wir Nietzsches eigene Gedichtlektüren sowie seine ungeheure Wirkung auf die Lyrik der Moderne, nicht zuletzt wo sie sich seinen Reflexionen zur Theorie der Lyrik verdankt. Auch Vertonungen von Gedichten (Kompositionen des jungen Nietzsche genauso wie spätere Vertonungen seiner Gedichte durch andere) gehören noch zum Thema.
Die Tagung wird organisiert von Christian Benne (Kopenhagen) und Claus Zittel (SRC Text Studies, Stuttgart). Als Hauptredner stehen bereits fest: Karl-Heinz Bohrer (London/Stanford), Luca Crescenzi (Pisa), Katharina Grätz (Freiburg), Wolfram Groddeck (Zürich), Friederike Günther (Würzburg), Soichiro Itoda (Tokio), Christoph König (Osnabrück); Peter Villwock (Zürich/Sils Maria), weitere sind angefragt. Im literarischen Rahmenprogramm liest Uwe Kolbe aus seinem lyrischen Werk. Während der Tagung wird der Friedrich Nietzsche-Preis verliehen.
Die Sektionsbeiträge sollten sich idealerweise auf ein einziges oder einige wenige Gedichte bzw. Texte konzentrieren. Vorschläge werden bis zum 31.05.2015 unterinfo@nietzsche-gesellschaft.de oder claus.zittel@ts.uni-stuttgart.de entgegengenommen. Eine Entscheidung über die Annahme fällt bis zum 30.06.2015. Reise- und Übernachtungskosten für die Sektionsteilnehmer können vom Veranstalter leider nicht übernommen werden.
In Planung sind abhängig von der Resonanz bis zu 8 Sektionen:
- 1. Einzelgedichte bis 1877 (z.B. Jugendgedichte, „Es geht ein Wandrer durch die Nacht“, „Am Gletscher“ …)
- 2. Idyllen aus Messina/„Lieder des Prinzen Vogelfrei“
- 3. „‘Scherz, List und Rache.’ Vorspiel in deutschen Reimen“
- 4. Lyrisches im Umfeld von Also sprach Zarathustra
- 5. Dionysos-Dithyramben und Lyrik in Nietzsche contra Wagner
- 6. Philosophie und Dichtung. Das Verhältnis von Lyrik und (philosophischer) Prosa bei Nietzsche
- 7. Nietzsche als Leser antiker und moderner Lyrik (z.B. Archilochos, Pindar, Horaz, Petrarca, Goethe, Hölderlin, Heine, Hebbel, Leopardi, Byron, Poe, Baudelaire …)
- 8. Wirkungen von Nietzsches Gedichten auf Philosophie, Lyrik und Musik der Moderne
Bewerbungen zu Sektionsvorträgen mit Abstrakt (max. 500 Wörter) und Curriculum Vitae bis zum 31. Mai. 2015 an
Claus Zittel, claus.zittel@ts.uni-stuttgart.de
oder: Friedrich-Nietzsche-Stiftung und Nietzsche-Gesellschaft e.V., Nietzsche-Dokumentationszentrum, Jakobsmauer 12
D-06618 Naumburg/Saale
Tel.: +49 (0) 3445/ 26 11 33
Fax: +49 (0) 3445/ 26 11 58