Förderung durch Stuttgarter ChangeLabs für Projektseminar „Gego – dynamische Raumstrukturen“

7. Januar 2022

Die beiden Institute für Architekturgeschichte, Prof. Dr. Klaus Jan Philipp, und Kunstgeschichte, Prof. Dr. Kerstin Thomas und Stefanie Reisinger M.A., der Universität Stuttgart führen im Wintersemester 2021/2022 gemeinsam ein interdisziplinäres Projektseminar zur Erforschung von Arbeiten im öffentlichen Raum der Künstlerin Gego durch._ Förderung durch das Projekt Stuttgarter Change Labs

Das praxisorientierte und interdisziplinäre Format soll die angehenden Forscher:innen dazu ermutigen, ihre Disziplinen zu vernetzen und durch ein intensives theoretisches wie praktisches Zusammenarbeiten neue Erkenntnisse zu den Themen Kunst im öffentlichen Raum, Gestaltung des sozialen Raumes, Kunst und Architektur, Modellbau, Architektur- und Kunstgeschichte sowie dynamische Raumstrukturen zu erarbeiten. Eine Auswahl der Forschungsergebnisse sollen Teil einer Ausstellung am Kunstmuseum Stuttgart werden.


Über die Künstlerin


Gego (Gertrud Goldschmidt, * 1912 – † 1994) zählt zu den bedeutendsten Künstler:innen Lateinamerikas in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ende der 1960er-Jahre entwickelt sie in Caracas, Venezuela, ihre wohl bekannteste Werkserie: die Reticuláreas sind filigrane, raumgreifende Stahldrahtinstallationen, die sie über offene Knotenverbindungen wolkenartig in musealen Ausstellungsräumen aufspannt. Parallel zu den handwerklich herausfordernden Arbeiten bereitet Gego diese Werke auf Papier vor, macht Skizzen wie eigenständige künstlerische Zeichnungen, bastelt kleine Modelle und denkt über den Schatten nach, den die Drahtarbeiten an die Wand werfen. Gego changiert zwischen den Medien und Techniken und übersetzt die Bildobjekte spielerisch in den Raum und wieder zurück ins Zweidimensionale. Im Kontext des lateinamerikanischen Cinetísmo und der geometrischen Abstraktion nimmt Gego dadurch stets eine eigenständige Position ein, die unter anderem über ihre
Ausbildung und Biografie erklärbar wird.
Die gebürtige Hamburgerin studiert ab 1932 Architektur und Ingenieurwesen an der Technischen Hochschule in Stuttgart. Im Jahr 1938 schließt sie ihr Studium kurz nach den Novemberpogromen mithilfe ihrer Professoren Paul Bonatz und Wilhelm Tiedje als eine der letzten Studierenden in Deutschland ab und sieht sich
wenige Monate später gezwungen nach Venezuela zu emigrieren. Dort beginnt sie erst ab Mitte der 1950er-Jahre als bildende Künstlerin an internationalen Ausstellungen teilzunehmen. In ihrem gesamten Werkkorpus sind technisches Wissen, spezifische künstlerische Techniken und architektonische Praktiken sowie ein Interesse an
mathematischen Fragestellungen evident – Themen, die die Künstlerin vor allem von ihrer Studienzeit in Stuttgart ableitet.
Gego arbeitet stets an einem ständig neu zu definierenden Raumbegriff, der nie ein rein formaler bleibt, sondern auch soziale Dimensionen berücksichtigt. Zudem deuten ihr Spiel mit Linien, Flächen, Volumen, aber auch ausgedehnte Netzstrukturen auf eine Auseinandersetzung mit dynamischen Raumstrukturen, wie sie in Diskussionen um Kunst und Städtebau im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts im Mittelpunkt standen. 

Gego selbst baute kaum; nur zwei Architekturprojekte kann sie in ihrer neuen Heimat realisieren – als Immigrantin und Frau wurde sie in diesem Berufsfeld nicht angenommen. Als Künstlerin hält sie ihr Naheverhältnis zur Architektur allerdings nicht nur inhaltlich aufrecht, sondern tritt über großformatige Arbeiten im öffentlichen Raum von
Caracas auch direkt mit ihr in den Austausch. Bis zu ihrem Tod 1994 entwickelt Gego insgesamt 8 solche Arbeiten; viele davon sind heute nicht mehr erhalten oder zumindest desinstalliert. Die politische und wirtschaftliche Lage Venezuelas ließ einst derartige Großprojekte zu, heute veranlasst sie, dass diese Arbeiten kaum noch zu erhalten
sind.

Im Rahmen des Seminars „Gego – dynamische Raumstrukturen (Projektseminar Modellbau)“ sollen die Arbeiten der Künstlerin Gego im öffentlichen Raum in Caracas erforscht und über modellhafte Objekte und nachgebildet werden. Durch die Zusammenarbeit von Kunsthistoriker:innen, Architekturhistoriker:innnen und Architekt:innen
soll diese besondere Werkgruppe wissenschaftlich aufgearbeitet und zugänglich gemacht werden. Die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und „moderner“ Architektur, das im Kontext der venezolanischen Diktaturen ein besonderes ist, sollen dabei ebenso berücksichtigt werden, wie der Einfluss von Gegos Ausbildung an der
Technischen Hochschule auf ihre spätere künstlerische Praxis.

 

Gego Projekt

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