Das Projekt „Women’s Drama and Theatre 1625-2025“ widmet sich der Entwicklung des Dramas und Theaters von Frauen im deutschsprachigen Raum. Drama und Theater sind kulturelle Phänomene, in denen „Rollen“ inszeniert werden, entweder als poetisches Schreiben oder als szenische Aufführung. In beiden Bereichen wurde das Engagement und die Beteiligung von Frauen in der Literatur- und Theatergeschichte weitgehend verdrängt. In der Zeit um 1800 entstand – weitgehend beeinflusst vom philosophischen Idealismus – die Vorstellung vom modernen „autonomen“ Individuum als kulturelle Norm. Diese idealisiert sowohl den Produzenten (oder „Autoren“) als auch den literarischen und schauspielenden Protagonisten (oder „Helden“) als bürgerlich, weiß und männlich. Die „Tragödie“, nach Hegel die höchste Form der Kunst, wurde als Domäne von Dramatikern angesehen, die dieser Norm entsprachen. Infolgedessen sind die Beiträge von Frauen als Schauspielerinnen, Dramatikerinnen und Regisseurinnen, obwohl diese immer wieder in Erscheinung getreten sind, aus dem kulturellen Gedächtnis verschwunden.
Diese binäre Wahrnehmung männlicher bzw. weiblicher Produktivität hat die wissenschaftliche Wahrnehmung und Perspektive des europäischen Dramas und Theaters in den letzten vier Jahrhunderten geprägt und dazu geführt, dass immer noch ein überwiegend „weißer“, männlicher Kanon von Werken verfügbar und für Forschung und Lehre zugänglich ist. Darüber hinaus ist es in der akademischen Welt – sowohl in Europa als auch in Nordamerika – üblich, eine disziplinäre Unterscheidung zwischen der Erforschung des „Dramas“ im Bereich der Literaturwissenschaften und des „Theaters“ in den Theaterwissenschaften zu treffen. Projekte wie das unsere, das danach strebt, traditionelle Sichtweisen in Frage zu stellen, zu dekanonisieren und zu dekolonisieren, überbrücken und überwinden diese disziplinäre Binarität.
Wenn wir von „Frauen“ sprechen, verfolgen wir einen offenen und inklusiven Ansatz, der jede essentialistische Vorstellung, Unterscheidung oder Definition von „Frausein“, „Weiblichkeit“ oder dem „weiblichen Geschlecht“ ablehnt. Stattdessen ist unser Projekt bestrebt, die historischen Prozesse und Mechanismen aufzuzeigen, die zu solchen Unterscheidungen geführt haben, und gleichzeitig die Vielfältigkeit und Intersektionalität von Identitätsmerkmalen wie Geschlecht, Rasse, Sexualität, Alter, Indigenität, Migration, Diaspora und Religion anzuerkennen. Unser Projekt verfolgt einen transkulturellen und postnationalen Ansatz und zielt sowohl auf wissenschaftliche als auch auf pädagogische Ergebnisse ab. Es soll das Bewusstsein für den Beitrag von Frauen zu Drama und Theater in Vergangenheit und Gegenwart in der zukünftigen Forschung sowie in Lehr- und Lernprozessen fördern und stärken.
Im Rahmen des Projekts sind folgende Veröffentlichungen geplant: (1) Eine erste und bahnbrechende Monographie über „Deutsche Dramatikerinnen des Barocks und der Frühaufklärung (1630-1770)“, die von Gaby Pailer verfasst wird und bei Lexington Books erscheinen soll. (2) Ein erstes und umfassendes Handbuch zu „Women’s Drama and Theatre in German-language Europe“, gemeinsam herausgegeben von Gaby Pailer, Jason Lieblang und Annette Bühler-Dietrich, erscheint im DeGruyter-Verlag Berlin (Print und eBook). (3) Neue zweisprachige (deutsch-englische) Dramenausgaben von Dramatikerinnen, z.B. Christa Winsloe, Ilse Langner und Charlotte von Stein. Weitere Ergebnisse sind wissenschaftliche Projekte in Form von Konferenzen und Sammelbänden sowie die Entwicklung von Lehrplänen für BA- und MA-Studiengänge, Theaterworkshops zu Stücken von Dramatikerinnen („Echoraum Orestie“, gefördert durch das Stuttgart Change Lab, Universität Stuttgart, 2022; Dramen von Autorinnen des 18. und 19. Jahrhunderts - neu gelesen und neu gehört, gefördert durch Diversity Grant, Universität Stuttgart, 2023) und eine Projektwebseite, die Lehrmaterialien zur Verfügung stellen wird.
Intersektionalitaet im Drama von Autorinnen des 18. und 19. Jahrhundert